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DER LEISE HENKER

(Text und Idee: Ossi Heiter, Bilder: Helmut Bone)

Der Pfeil sauste haarscharf an der Schulter des Mannes vorbei und dieser hatte das Glück, daß er so beim Tisch gesessen hatte, daß er nicht in der Schußrichtung war. Aber er konnte auch nicht zur Türe sehen und hatte daher auch das Auftauchen des maskierten Bogenschützen nicht bemerkt.

Es waren nur wenige Gäste in dem Dorfgasthaus an der Landstraße und scheinbar hatte der Maskierte nicht einmal die erwartet, denn als einer der drei noch Anwesenden aufsprang und rief "Haltet ihn", gab er Fersengeld. Auch der Ritter, den der Pfeil beinahe getroffen hatte, stieß seinen Stuhl um und stürmte zum Eingang um die Verfolgung des Attentäters aufzunehmen.

Der Pfeil hatte den Wirt, der gerade beim Nachfüllen gewesen war, mitten in die Brust getroffen und der Letzte, der noch verbliebenen Gäste lief zu ihm und kümmerte sich um den Verletzten.

"Ich hatte geglaubt, hier als Wirt unerkannt bleiben zu können," stöhnte der Angeschossene, "aber nun hat er mich doch erwischt... "

"Wer?" fragte der Andere, indem er das Wams des Wirtes aufriß und versuchte, den Pfeil zu entfernen und die Wunde zu versorgen.

"Der leise Henker .... oder einer seiner Leute" antwortete der Wirt.

"Wer ist der leise Henker?"

"Man kann ihm nicht entkommen. Niemand weiß es. Man weis nur, daß er dich erwischt, wohin du auch immer flüchtest."

"Warum wollte er euch erwischen? Und warum habt ihr euch nicht um Hilfe an den Vogt oder an den Regenten gewandt?"

"Man hätte mir nicht geglaubt, aber ich weiß, daß .... aaaah"

"Was ist euch ?"

Aber der Wirt antwortete nicht mehr.

Kurz darauf kamen die beiden Verfolger wieder zurück.

"Der heimtückische Schütze ist uns leider entkommen. Bis wir unsere Pferde losgebunden hatten, war er über alle Berge. Er dürfte vorne im Wald von der Landstraße abgebogen sein, denn wir konnten weder seine Spur in der Dunkelheit finden, noch seinen Hufschlag hören. Was ist mit dem Wirt? Wie geht es ihm?"

"Er ist tot."

"Schrecklich. Kennt ihn einer von euch? Wißt ihr, warum man auf ihn geschossen hat? Ich bin hier nur auf der Durchreise, weil ich alte Freunde im Kloster besuchen wollte."

"Ich habe auch nur hier auf dem Heimweg Rast gemacht. Ich lebe zwei Tagesreisen von hier entfernt. Wißt ihr, was dieses heimtückische Attentat zu bedeuten hat?".

Die Frage war an den dritten in der Runde gerichtet, der noch immer bei dem Ermordeten kniete.

"Nein, auch ich bin nicht von hier und habe nur Rast und ein Nachtlager gesucht, aber der Wirt hat vor seinem Tode noch etwas gesagt, das mir rätselhaft erscheint."

"Sprecht" forderte ihn einer der beiden Stehenden auf und Angesprochene schilderte die letzten Worte des Gastwirtes.

"Seltsam, ich habe noch nie etwas von einem leisen Henker gehört. Aber ich würde ihn gerne kennenlernen und ihm seine Feigheit und Heimtücke ins Gesicht schreien. Der Wirt hatte nicht den Funken einer Chance."

"Ich würde ihn auch gerne erwischen und ihm mit dem Schwert gegenübertreten und ihm keine Gelegenheit geben, einen Bogen auf die Sehne zu legen."

"Ihr sprecht sehr mutig, das erinnert mich sehr an Sigurd, der hätte auch diese Untat zu sühnen und das Rätsel zu lösen versucht."

"Ihr kennt Ritter Sigurd?"

"Ja, ich hatte vor langer Zeit Gelegenheit, ihn kennenzulernen. Ich war Schüler im Kloster zum heiligen Michael, wo wir einen riesigen Schatz für das Kloster herbeischaffen mußten. Sigurd hat mich bei diesem gefährlichen Abenteuer gelehrt, die wahren Werte zu erkennen und ihm habe ich es zu verdanken, daß ich heute als ehrlicher Ritter leben kann."

"Das ist aber ein Zufall, ich war als Junge gemeinsam mit Cassim in einem Bergwerk gefangen und wir mußte dort für Ritter Eichenkamp, dem 'Herrn der Finsternis' Gold abbauen, bis es Sigurd und Bodo gelang uns zu befreien."

"Meine Erinnerungen an Sigurd sind nicht so erfreulich" ergriff der Dritte in der Runde das Wort, "und ich wollte, ich würde nie mehr daran erinnert werden."

"Das ist unvorstellbar," meinte Ritter Hermann, der ehemalige Klosterschüler, "wenn euch Sigurd etwas angetan hätte, kann es sich nur um ein Mißverständnis handeln."

"Es ist nicht so, wie ihr denkt. Mein Vater war Burghauptmann auf Sigurds Burg und wurde gezwungen, Sigurds Schatzkammer zu berauben. Seine Feinde warfen meinen Vater und mich und auch Bodo und Cassim in einen tiefen Schacht. Als von oben jemand mit einem Pfeil auf mich zielte, stellte sich mein Vater schützend vor mich und der Pfeil tötete ihn."

Die anderen beiden fanden keine Worte und nach kurzer Pause sprach Guntram von Fahlbrunn weiter. "Versteht ihr jetzt, warum die Erinnerung an Sigurd, die mit der Ermordung meines Vaters verbunden ist, für mich nicht angenehm ist?. Sigurd hat meinem Vater verziehen und ich habe mir daraufhin geschworen, das Unrecht zu bekämpfen, wo immer ich es erkenne."

"Dann haben wir drei eigentlich ein gemeinsames Ziel," sprach Hans, der Bauernsohn, "und unsere erste Aufgabe wird sein, dem leisen Henker das Handwerk zu legen."

Die drei Männer, die auf so seltsame Weise zusammengefunden hatten, beschlossen zunächst den Wirt zu beerdigen und in der nächsten Ortschaft den Dorfschulzen von dem heimtückischen Mord zu informieren. Dann aber wollten sie unbedingt den maskierten Bogenschützen finden und das Rätsel des leisen Henkers lösen, so wie es einst auch Sigurd gemacht hätte.



Die Fortsetzung dieser spannenden Geschichte ist ab Heft 11 im Clubmagazin des Hans-Rudi-Wäscher-Fanclubs Bayern zu lesen

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